Qualifiziertes Nichtwissen vs blinde Ignoranz.

von | März 11, 2025 | Blog

Bestimmt kennen auch Sie Personen, die mit voller Überzeugung die absurdesten Behauptungen aufstellen, während Sie sich sicher sind, dass diese Person keinen blassen Schimmer hat. Willkommen in der wundersamen Welt des Dunning-Kruger-Effekts! Dieses psychologische Phänomen sorgt dafür, dass Menschen mit geringer Kompetenz ihre Fähigkeiten überschätzen – weil sie schlicht nicht wissen, was sie nicht wissen. Dabei ist es entscheidender denn je, zu wissen, was man nicht weiss. Oder mit den Worten von Sandy Thompson, meiner damaligen Chefin bei Saatchi & Saatchi: »To truly understand, we need to open our minds to all the things we didn’t know we didn’t know.«

Dunning-Kruger-Effekt
Die Kognitionskurve

Korreliert ein grosses Selbstvertrauen mit einer niedrigen Kompetenz, erklimmen wir den Gipfel der Dummheit, den Mount Stupid. Auf dem Mount Stupid haben wir es mit Personen zu tun, die sich selbst – unwissentlich – überschätzen. Zum »Guru« werden wir, indem wir das Tal der Verzweiflung durchschreiten und unser Selbstbewusstsein nach und nach unserer wachsenden Kompetenz anpassen. Es ist die permanente Selbstkritik, die uns auf den Pfad der Erleuchtung, den Slope of Enlightenment, bringt. Die Kultur der Selbstkritik ist es auch, die uns zum Plateau of Sustainability, zu nachhaltiger Erkenntnis und Innovation, führt.

Qualifiziertes und unqualifiziertes Nichtwissen

Dass man, frei nach Sokrates, weiss, was man nicht weiss, könnte man als »qualifiziert ignorant« bezeichnen: Man weiss, welches Wissen man sich aneignen muss, um sein Nichtwissen zu überwinden. Personen jedoch, die nicht wissen, was sie nicht wissen, bleiben nichtwissend, sie sind »unqualifiziert ignorant«.

Das Phänomen der qualifizierten respektive der unqualifizierten Ignoranz ist entscheidend in Innovationsprozessen und bei Markenpositionierungen. In qualifizierten Innovationsprozessen sind Sie ständig damit beschäftigt, Unwissen durch Wissen zu kompensieren – dadurch werden Sie  zunehmend klüger. Stützen Sie Innovationsschritte aber auf Unwissen ab, kann dies einen Innovationsprozess gegen die Wand fahren.

Wo Ahnungslosigkeit auf Selbstbewusstsein trifft

Die Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger fanden 1999 heraus, dass Menschen mit wenig Wissen oft glauben, sie seien wahre Experten. Ihnen fehlt das Wissen, um ihre Inkompetenz zu erkennen. Dies führt zum Beispiel dazu, dass manche Leute mit offenbar grenzenlosem Selbstbewusstsein Unsinn verbreiten. Experten hingegen hegen immer einen gewissen Zweifel an ihrem Wissen, denn sie sind sich der Komplexität des Sachverhalts bewusst.

Die Praxis der Falsifikation

Um sich vor falschen Gewissheiten zu schützen, hat der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper das Prinzip der Falsifikation entwickelt: »Wann immer wir nämlich glauben, die Lösung eines Problems gefunden zu haben, sollten wir unsere Lösung nicht verteidigen, sondern mit allen Mitteln versuchen, sie selbst umzustossen.«

Übertragen auf Innovations- und Positionierungsprozesse im Unternehmen heisst dies, dass wir uns nie in Sicherheit wiegen dürfen. Auch wenn wir jede Eventualität geprüft zu haben glauben, besteht immer noch die Möglichkeit, dass wir einen Markt, ein Konsumentenverhalten, ein entscheidendes Detail oder eine wirtschaftliche Entwicklung falsch einschätzen.

Unsicherheiten ausschliessen

Die Praxis der Falsifikation hilft, Unsicherheiten so weit wie möglich auszuschliessen. Was immer bleibt, ist eine Restunsicherheit – ein letztes Quäntchen Nichtwissen. Sind wir uns dieses Nichtwissens aber bewusst, bleiben wir selbstkritisch und agil. Qualifiziertes Nichtwissen ermöglicht es, wach zu bleiben und Prozesse erfolgreich an ändernde Bedingungen anzupassen. Qualifiziertes Nichtwissen ist die Voraussetzung für Resilienz und Innovationskraft gerade in turbulenten Zeiten, wo guter Rat billig geworden ist.

Check it out
Karl Popper: Logik der Forschung. Tübingen 2005. Zitat auf Seite XX
Sandy Thompson: One in a Billion. New York 2006