Das Heilige liegt in der Struktur der Geschichte.
Diego Maradonas Nummer 10: Die Legende ist unsterblich.
Maradona aufgebahrt in der Eingangshalle des argentinischen Präsidentenpalastes. Tausende huldigen dem Fussballgott. Trauer, Tränen und Tumulte! Die ganze Welt berichtet. Die Legende lebt.
Gefeiert, geächtet, auferstanden
Kein Wunder! Das Brand Narrative Diego Armando Maradonas deckt sich mit dem Brand Narrative des grössten christlichen Heiligen, Jesus Christus: Jesus entstammt einer unscheinbaren Familie, durchlebt einen atemberaubenden Aufstieg zum König der Juden und Feind der römischen Besatzungsmacht, zieht wie ein weltlicher Herrscher über Palmblätter reitend in die Hauptstadt Jerusalem ein, von wo er, zum absoluten Tiefpunkt seines Lebens erniedrigt, aufsteigt in die Ewigkeit himmlischer Transzendenz. Wie Maradona.
Der Passionsweg Christi, das verbreitetste narrative Programm der christlich abendländischen Kultur, strukturelle Grundlage von Heldengeschichten und Brand Narratives.
Die Erzählstruktur des Abendlandes
Das narrative Programm der Passion Christi ist ein narratives Axiom, unzählige Male repetiert und in unseren Köpfen zementiert: Der Erfolg des Protagonisten ist prädestiniert, sein Aufstieg steil, sein Niedergang verzweifelt, seine Resurrektion befreiend, unendlich und nicht von dieser Welt.
Unzählige Biografien folgen diesem narrativen Programm. Politiker, Stars, Unternehmer, die höchste Höhen erreichen, tiefste Tiefen überwinden und dann geläutert zu Ruhm und Erfolg aufsteigen. Erfinder, Erleuchtete, Erlöser.
Ein Tipp für alle PR-Berater
Erfinden Sie keine linearen Erfolgsgeschichten von Helden, denen alles in den Schoss fiel, weil sie von Anfang an bereits alles schon wussten, konnten und hatten. Solche Geschichten haben keinen Impact. Starke Geschichten erzählen von Menschen, die sich hochgearbeitet, Rückschläge eingesteckt und Tiefpunkte durchschritten haben.
Identifikationsfiguren, Brands, sind jene, die sich aus schwierigsten Momenten befreien konnten und zu Erkenntnissen gelangt sind, die sie einzigartig und erfolgreich machen. Je höher das Gefälle zwischen Himmelhochjauchzen und Zutodebetrübt, desto grösser ist die Wirkung der Geschichte.
Kämpfer, Befreier, Angebeteter
Diego Armando Maradona war weit mehr als ein erfolgreicher Fussballer. Er hat Argentinien und damit seine Gläubigen befreit und mit Zuversicht beschenkt. Sein kometenhafter Aufstieg mit der S.S.C. Napoli brachte ihm eine Huldigung, die alles Menschliche übersteigt.
Der Gott, der auf die Erde kam
Seine Menschwerdung ist sein Niedergang in die Drogensucht und die Ächtung als Versager. Jetzt ist der Fussballgott hinunter gestiegen und zur Identifikationsfigur hienieden geworden – geschunden und missbraucht, barmherzig und gesegnet zugleich. Seine Resurrektion erfolgt nicht zuletzt auch in der Heiligung durch die grossen sozialistischen Führer Fidel Castro und Hugo Chavez, die sich Zeit ihres Lebens und Märtyrern gleich dem Kapitalismus widersetzten, der auch Maradona verführte und brutal dem Paradies entriss.
Zeichen der Heiligkeit
Die blauweissen Tücher über der Totenbahre in den heiligen Hallen der argentinischen Nation erinnern an das Turiner Grabtuch. Auch sie tragen die Zeichen des Heiligen, die Nationalfarben der Nation und die magische 10 des »pibe de oro«. Derweil schwillt die Anbetung nicht ab. In aller Welt lobpreisen die Medien Maradona als den grössten und kontroversesten Fussballer der Geschichte.
»Gottes Hand«? Ja, klar! Die Legende ist geschrieben. Die Unsterblichkeit Maradonas beginnt mit seinem Tod am 25. November 2020.